Die Bedeutung biografisch-historischer Perspektiven im Geschichtsunterricht im Spannungsfeld zwischen Dort und Hier
Geflüchtete Jugendliche aus Syrien in Deutschland und ihre mit-gebrachten Geschichten
Dissertation - Fakultät 1 - Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften - Institut für Erziehungswissenschaft
Status:aktuell laufendes Vorhaben
Kurzinhalt:Im Zentrum des aktuellen Geschichtsunterrichts steht das Geschichtsbewusstsein, welches sich thematisch überwiegend auf vorbiografische und nationale Inhalte der Erinnerungs- und Geschichtskultur bezieht (Rüsen 2013, S. 48). Geschichtsbewusstsein zielt sowohl auf „kulturelle Orientierung“ (Rüsen 1997, S. 24) als auch auf „kulturelle Kohärenz“ (Pandel 2013, S. 23) und „kulturelle Identität“ (ebd., S. 143) ab. Bärbel Völkel kritisiert diesen Status quo aus einer phänomenologischen Perspektive, indem sie herausstellt, dass Menschen über orientierte Zeit verfügen und diese als biografische Zeit erleben (Völkel 2017, S. 96f). Diese biografische Zeit ergibt sich aus den Geschichten, in die die Menschen in ihrem gelebten Raum verwickelt und den Szenarien, in die sie eingebunden sind (Schapp 2012, S. 85f).
Da diese Geschichten stark identitätsstiftend sind, ist es wichtig, dass sie im Aufnahmeland als ein Wert wahrgenommen werden, der die Neubürger*innen bislang hat handlungsfähig sein lassen. Diese Geschichten zu ignorieren, bedeutet auch, dass Neubürger*innen sich in ihrer Historizität nicht angenommen und somit auch in dieser Hinsicht nicht respektiert sehen, was ein Einleben in die neue Gesellschaft erschweren kann.
Daraus ergibt sich folgende Problematik: Durch die Festlegung der Themen des Geschichtsunterrichts auf vorbiografische Inhalte werden im Geschichtsunterricht die biografisch-historischen Perspektiven (Rein 2021) ausgeklammert, was das Geschichts-Erleben von Neubürger*innen nicht abbildet und deren Handlungsfähigkeit beeinflusst. Wie können wir dem begegnen?
Jürgen Straub zufolge wird Geschichte durch „Geschichten gebildet, in die mehrere […] Menschen verstrickt sind, […] die viele angehen und betreffen, berühren oder bewegen“ (Straub 2011, S. 85). Wenn wir also Geschichten erzählen, werden Differenzen in Zeit (und Raum) bewusst wahrnehmbar. Diese Erzählungen – von zugewanderten Jugendlichen aus Syrien – ließen sich für historische Lern- und Lehrprozesse fruchtbar machen.

Literaturverzeichnis:
Borries, Bodo von (2008): Historisch denken lernen - Welterschließung statt Epochenüberblick. Geschichte als Unterrichtsfach und Bildungsaufgabe. Opladen, Farmington Hills, Mich.: Budrich (Studien zur Bildungsgangforschung, Bd. 21).
Pandel, Hans-Jürgen (2013): Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis. Schwalbach: Wochenschau Verlag.
Rein, Franziska (2021): Historisches Lernen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Eine Studie zur Sinnbildung durch die eigene Lebensgeschichte. Göttingen: V&R unipress (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Band 024).
Rüsen, Jörn (1997): Was heißt: Sinn der Geschichte? (Mit einem Ausblick auf Vernunft und Widersinn). In: Klaus E. Muller und Jörn Rüsen (Hg.): Historische Sinnbildung. Problemstellungen, Zeitkonzepte, Wahrnehmungshorizonte, Darstellungsstrategien. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch (Rowohlt Enzyklopädie), S. 17–47.
Rüsen, Jörn (2013): Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Köln, Weimar, Wien: Böhlau.
Straub, Jürgen (2011): Geschichten erzählen, Geschichte bilden. Grundzüge einer narrativen Psychologie historischer Sinnbildung. In: Jürgen Straub (Hg.): Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte. 4. Druck. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1402), S. 81–169.
Völkel, Bärbel (2017): Inklusive Geschichtsdidaktik. Vom inneren Zeitbewusstsein zur dialogischen Geschichte. Schwalbach: Wochenschau Verlag (Wochenschau Wissenschaft).
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Projektdauer:01.05.2021 bis 30.04.2024
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Erfasst von Illie Isso am 01.04.2022    
Projekt-ID:511